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The Polydrama
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4a ALMA, YOU HAVE NOT LIVED!
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11. Dezember 1964, Almas Todestag. Alma ist fünfundachtzig, fast blind infolge von Diabetes und auf einem Ohr taub, was sie immer schon war.

U.S. ALMA    Helfen sie mir, junger Mann, helfen sie mir hier heraus, ja? Ich muß nach Grinzing, aber die Schwester weigert sich, können sie mich da hinbringen?

GROPIUS    Grinzing? Was wollen sie denn in Grinzing?

U.S. ALMA    Ich möchte neben meiner schönen, geliebten Tochter Manon zur ewigen Ruhe gebettet werden. Sie ist das einzige meiner Kinder, das mir ähnlich schaut. Kein Wunder. Zwei junge arische Götter sind einander begegnet — und sie ist die Frucht dieser Extase. Sein Geist und meinen Körper — unser beider Vollendetes mußte einen Halbgott entstehen lassen. Sie liegt dort unten, am Grinzinger Friedhof. «A la recherche du temps perdu»! Ich möchte auf die Stadt hinunterschauen, die mir einst zu Füßen lag! Und ich möchte Mahlers Grab besuchen, wenn ich schon hier bin. Sie wollten mich auch dort begraben, neben ihm, aber das wollte ich nicht. Auch nicht bei Werfel, in Kalifornien. Das fehlte mir noch! Ich konnte seinen Gestank schon zu Lebzeiten nicht ertragen. Und jetzt erst recht! Sie können sich ausmalen, wie der jetzt riecht. Werfel war der Schlimmste. Nur Zemlinsky war noch schlimmer. Ein scheußlicher Gnom, ausnehmend häßlich, immer ungewaschen, nach Kaffehaus riechend, eine Mischung von Zigarrenrauch und Schweiß. Aber eine Persönlichkeit, eine große Persönlichkeit! Vielleicht ein Genie!
Eine Krankenschwester (Alma 1) erscheint.
Schwester Und Gustav Mahler?

U.S. ALMA    Mein erster Mann? Gostamalah. Sie kennen ihn? Er hat auch gerochen. Und wie! Er ist den letzten Jahren sehr berühmt geworden. Ein Amerikaner, ein gewisser Leonard Bernstein — Jude natürlich — hat sich seiner angenommen.
Schwester Leonard Bernstein, der Komponist der West Side Story?

U.S. ALMA    Er hat ihn sehr populär gemacht! Very popular! Very popular! Er wird fast schon so oft wie Beethoven gespielt, wußten sie das? Seine Rennaissance ist unvorstellbar! Jedes Orchester, das etwas auf sich hält, spielt heute Werke von Gostamalah. Es ist ein Prüfstein für jeden Klangkörper. Er ist der musikalische Genius des zwanzigsten Jahrhunderts, der Prophet der Moderne! Und sein Ruhm wächst! Mit jedem Tag, mit jeder Stunde. Das Adagio seiner 5. Symphonie war das einzige, was Viscontis «Tod in Venedig» halbwegs erträglich gemacht hat!
Die Krankenschwester begleitet U.S. Alma und führt sie in einen Raum, in dem Mahler und der Almaniac (als Bruno Walter) beim "Announcement of Marriage" sind.

U.S. ALMA    Hallo! Ist da jemand?! — Wer ist denn da? Was ist denn das für ein Lärm?

ALMANIAC    Das ist Musik.

U.S. ALMA    Was? Was haben Sie gesagt? Ich kann sie nicht verstehen! Was suchen Sie denn?

ALMANIAC    Hier ist niemand...

U.S. ALMA    Ach was. — Machen sie Licht.

ALMANIAC    Das Licht ist an.

U.S. ALMA    Was?!

NURSE    Das Licht ist an.

U.S. ALMA    Schreien sie mich nicht an. Ich bin nicht taub! — Ich kann nur nichts sehen.

ALMANIAC    Vielleicht liegt das an ihren Augen.

U.S. ALMA    An was?

NURSE    An Ihren Augen! Ihren Augen!

U.S. ALMA    Ah ja! Meine Augen! Natürlich! Meine Augen... Man nannte mich die «Sirene mit den blauen Augen»!

MAHLER    «Sirene mit den blauen Augen»? So nannte man doch...

U.S. ALMA    Meine Augen sind nicht mehr so gut, wie sie einmal waren, wissen sie... Sie behaupten, es ist Diabetes, aber das ist natürlich Unsinn. Diabetes ist eine jüdische Krankheit. Ich kann sie also gar nicht bekommen! Ich war zwar ein Leben lang immer mit Juden zusammen, die an mir geklebt sind wie die Fliegen am Honigtopf, aber das Judentum ist gottseidank noch nicht ansteckend! Ha ha!! — (singt:) «Juden umschwirren mich, wie Motten um das Licht, und wenn sie verbrennen, ja dafür kann ich nicht...!» (summt weiter).

MAHLER    Moment, Moment! Das ist doch...

U.S. ALMA    Auch ein Lied, das ich hätte geschrieben haben können, wenn man mich gelassen hätte!

MAHLER    Alma?

U.S. ALMA    Ja?...

NURSE    Ja?

MAHLER    Mein Gott! Bist du‘s?!

Die Krankenschwester (Alma 1) legt ihren Krankenschwesternmantel und ihr Stethoskop ab und verlässt mit dem Almaniac den Raum zu “Dead friends”.

U.S. ALMA    Junger Mann! Wie reden sie denn mit mir?

MAHLER    Alma, mein Gott, schau mich doch einmal an!!

U.S. ALMA    Ich sagte ihnen doch, daß ich nichts sehen kann.

MAHLER    Erinnerst du dich nicht an meine Stimme??

U.S. ALMA    Was?

MAHLER    Tempora mutantur et nos mutamur in illis! Diese Haut war einst weicher als die feinste Seide, zusammengefallen jetzt in ein Meer von Falten und Verwesung. Wehmütig hängt vom eh‘mals stolzen Kinn sie jetzt herab...

U.S. ALMA    Von wem ist dieses Gedicht, junger Mann?

MAHLER    «Junger Mann »...? Welch Ironie des Schicksals. Du warst erst 32 und ich schon 52, als ich starb. Und jetzt nennst du mich «junger Mann»? Ist es das, was von unserem Leben, unserem Leid, unserer Liebe übrig bleibt? Ein Witz? Ein dummer Witz?

U.S. ALMA    Was murmeln sie da? Ich kann sie nicht hören!

MAHLER    Ich bin Gustav.

U.S. ALMA    Wer sind sie?

MAHLER    Gustav! Ich bin Gustav!

U.S. ALMA    Was für ein Zufall! Mein erster Mann hieß auch Gustav.

MAHLER    Aber Almschili! Ich bin Gustav, dein erster Mann!

U.S. ALMA    Gustav “mein erster...”

MAHLER    Mann.

U.S. ALMA    Sind sie nicht ganz bei Trost?

MAHLER    Alma! - Almschi! - Almschili!

U.S. ALMA    Reden sie kein dummes Zeug, ja! — Geben sie mir ihre Hand. Lassen sie sehen. Diese Hände... diese Hände... lassen sie sie mich untersuchen. Diese wundervollen Hände. Diese sehnigen Finger, die flachen Kuppen mit den kurzen, aufgebogenen Nägeln. Und der Geruch! Mein Gott! Natürlich! Er ist es!

MAHLER    Oh Alma!

U.S. ALMA    Es ist ja nicht zu glauben! Der Geruch! Ich werde ihn nie vergessen. — Verwendest du immer noch kein Parfüm?

MAHLER    Du weißt doch, ich hasse Parfüm.

U.S. ALMA    Immerhin: Du riechst besser als zu Lebzeiten! Das ist aber eine nette Überraschung! So lang nach deinem Tod! Das ist doch ungewöhnlich, nicht? Es ist doch jetzt schon bald fünfzig Jahre her, oder? Was für ein Begräbnis! Erinnerst du dich? Alle waren sie da... Warum hast du mir verboten, schwarz zu tragen? Ich hätte fabelhaft ausgesehen...

MAHLER    Alma, ist das wahr: sie spielen wieder meine Symphonien?!

U.S. ALMA    Natürlich! Mehr denn je!

MAHLER    Und die Kritiker?

U.S. ALMA    Welche Kritiker?

MAHLER    Na, meine Kritiker natürlich. August Beer, zum Beispiel.

U.S. ALMA    August was?

MAHLER    Beer. August Beer! — Na der, der behauptet hat, daß alles, was an meiner Musik gut ist, von Wagner oder Berlioz gestohlen ist. (nimmt eine Zeitung zur Hand) Daß meine Virtuostität alles andere lähmt. Daß mein technisches Können die Fähigkeit zu komponieren lähmt... August Beer! Er war ein Kritikerpapst! Du mußt dich doch an ihn erinnern!

U.S. ALMA    Du träumst. Ein August Beer hat niemals existiert.

MAHLER    Was redest du denn! Er war einer meiner erbittertsten Feinde!!

U.S. ALMA    Kein Mensch erinnert sich mehr an ihn.

MAHLER    Na und dieser... dieser... wie war noch mal gleich sein Name? Dieser schrecklich arrogante Hund. Er war gefürchtet in New York. «The drooling and emasculated simplicity of Gustav Mahler! It is not fair to the readers to take up their time with a detailed description of that musical monstrosity which masquerades under the title of Mahler‘s Fourth Symphony. There is nothing in the design, content or execution of the work to impress the musician, except its grotesquerie. To the writer of the present review it was an hour or more of the most painful torture to which he has been compelled to submit.» Wie hat der denn geheissen? Das kannst du doch nicht vergessen haben, Alma! Erinnere dich, wie zornig du damals warst!

U.S. ALMA    Ich war nie zornig in New York. Immer nur in Kalifornien.

MAHLER    Wie hiess der nochmal?! Kevin glaub ich, Kevin Rich... Oder Kevin Glove. Was ist aus ihm geworden?

U.S. ALMA    Ich kann mich nicht an ihm erinnern,,,

MAHLER    Er war Chefredakteur des New York Musical Courier.

U.S. ALMA    Die Zeitung gibt‘s doch gar nicht mehr.

MAHLER    Und dieser widerliche Gnom vom Boston Daily Advertiser, Carlson oder Elison oder so ähnlich? Er hat eine Kritik auf meine fünfte Symphonie als satirisches Gedicht geschrieben!
Great praise the big brass tubas won,
And kettle-drums, I ween.
Why, ‘twas an ugly thing,
Said little Wilhelmine.
Nay, that you must not say, quoth he,
It is a famous symphonie.
Warum muß man sich immer anpinkeln lassen? Bin ich denn ein Laternenpfahl? Elson — das war sein Name, jetzt erinnere ich mich: Elson! Louis Elson. —

U.S. ALMA    Gustav, du bist rührend! Du bist wahrscheinlich der einzige Mensch im gesamten Kosmos, der über diesen Idioten noch spricht. Mach dich doch nicht verrückt mit solchen Lächerlichkeiten?

MAHLER    Sie haben versucht, mich zu töten!!

U.S. ALMA    Forget it! Sie wurden aus dem Gedächtnis der Menschheit ausradiert! Pharisäer und Tabernakelwanzen, die sich von den Brosamen ernähren, die von Gottes Tisch zu Boden fallen.

MAHLER    Das ist doch mein Leben... Ich muß. Ich muß...!

U.S. ALMA    Gar nichts mußt du! Sie sind tot, vergessen und verscharrt! Zu Staub zerfallen, von den Würmern gefressen. Aber Gustav lebt! Als Genius des zwanzigsten Jahrhunderts, als Prophet der Moderne! Und sein Ruhm wächst! Mit jedem Tag, mit jeder Stunde. Das Adagio deiner 5. Symphonie war das einzige, was Viscontis «Tod in Venedig» überhaupt erträglich gemacht hat!

MAHLER    Alma, ich bin so froh, daß meine Musik mich überlebt hat. Ich kann dir gar nicht sagen, was das für mich bedeutet. Aber all der Erfolg und der Ruhm — haben sie letztlich bewirkt, daß du mich liebst?
Schweigen.

U.S. ALMA    Spielt das jetzt noch eine Rolle? Dreiundfünfzig Jahre nach deinem Tod?

MAHLER    Almschili! Wenn ich in den Sprachen der Menschen und Engel redete, hätte aber die Liebe nicht, wäre ich ein dröhnendes Erz oder eine lärmende Pauke... Und wenn ich prophetisch reden könnte und alle Geheimnisse wüßte und alle Erkenntnisse hätte; wenn ich alle Glaubenskraft besäße und Berge damit versetzen könnte, hätte aber die Liebe nicht, wäre ich nichts.

U.S. ALMA    Was redest du denn da für einen Unsinn?

MAHLER    Almschili, weißt du denn nicht, daß die Liebe niemals aufhört? Und wenn sie aufhört, ist es nicht Liebe gewesen? Zungenrede verstummt, Erkenntnis vergeht. Als ich ein Kind war, redete ich wie ein Kind, dachte wie ein Kind, und urteilte wie ein Kind. Als ich ein Mann wurde, legte ich ab, was Kind an mir war. Jetzt schauen wir in einen Spiegel und sehen nur rätselhafte Umrisse, dann aber schauen wir von Angesicht zu Angesicht. Für jetzt bleiben Glaube, Hoffnung, Liebe, diese drei; doch am größten unter ihnen ist die Liebe.

U.S. ALMA    Lieber Gott, was beschwatzt du mich denn mit all dem Zeug?

MAHLER    Alma, du hast ein ganzes Leben hinter dir, du hast alles gehabt, was die Welt einem nur bieten kann, die leidenschaftlichsten Männer haben dich geliebt, du bist immer in der ersten Reihe gestanden — und alles was du getan hast, war, dich lieben zu lassen. Alma, du hast gar nicht wirklich gelebt.

U.S. ALMA    Was soll denn das heißen?! Wo willst du hin?!

MAHLER    Ich gehe meine zehnte Symphonie vollenden!