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The Polydrama
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5a DEAD FRIENDS (ALMA 1, BRUNO)
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Die Schwester (Alma 1) legt Arztmantel und Stethoskop ab und verläßt mit dem ALMANIAC (Bruno Walter) den Raum von „Not lived!“ zu „Dead Friends“.

ALMA 1   (im Hinausgehen und auf dem Weg:) Er will mich anders, ganz anders... und auch ich will es. Es gelingt mir auch, solang‘ ich bei ihm bin — aber wenn ich allein bin, dann kommt mein zweites, eitles, schlechtes Ich und begehrt Auslaß. Und ich willfahre — aus meinen Augen strahlt Frivolität, mein Mund lügt. Lügt in einem fort. Und er... fühlt es... weiß es... jetzt erst, in dem Moment weiß ich‘s, ich muß zu ihm hinauf! Ich lebe ja nur von ihm. — Er beschwört mich zu reden... und ich... kann kein warmes Wort finden. Keins. Das ist das Ende...

ALMANIAC (unterbricht:) Liebe Freunde! Liebe Feinde! Unser lieber Gustav hat sich nun endlich doch, nach Jahren konsequenten Junggesellendaseins, entschlossen, sich einer weiblichen Wesen anzuvertrauen, mit dem er nicht verwandt ist – und dies sei für uns ein nobler Grund zu feiern! Ich erhebe daher mein erstes Glas auf das Wohl des glücklichen Paares und sage: Lehayim! – Aber da wir nun schon mal so ganz unter uns sind,, erlauben Sie mir ein auch paar Worte im Vertrauen: Wir, seine engsten Freunde, seine Brüder, machen uns trotz allem doch auch ein wenig Sorgen. Wir wären keine echten Juden, wenn wir das nicht täten...! Also müssen Sie mich auch gar nicht besonders ernst nehmen. Wir Juden machen uns über alles und jedes Sorgen. Wir sind auch gar nicht beunruhigt darüber, daß du 41 bist und Alma erst 22 – weit gefehlt! Das ist gar kein so großer Unterschied. Denn, sehen sie, wenn Gustav einmal 120 ist, dann sind sie 101 – und dann ist es schon gar nicht mehr so schlimm. Was uns aber Sorgen macht, daß ist der Unterschied der Temperamente, der Unterschied in eurem Wesen. Sie, verehrte Alma, sind jung, schön, frei, voll Leben – sie blühen vor Vitalität und sind gierig nach den Freuden des gesellschaftlichen Lebens – wohingegen Gustav, unser lieber, alter Gustav, was ist? Ein Asket! – Und das ist noch untertrieben! Er ist so weltfremd und wenn er etwas liebt, das neben seiner Musik bestehen darf, so ist es die Einsamkeit. Das müssen sie wissen, wenn sie sich ihm anvertrauen. Wenn Sie sich also entschließen sollten, zu heiraten, Alma, so müssen Sie nur immer eines bedenken: Ihr Leben ist eine sehr schwierige Etüde, vielleicht ein Nocturne, vielleicht eine Mazurka – aber jedenfalls wird es immer ein Stück für vier Hände sein...

Alma 1 und der ALMANIAC sind im Schlafzimmer angekommen.

ALMA Ich möchte jetzt auch eine kleine Rede halten, eine Dankesrede! – Ich möchte Gott danken, daß er den Männern gestattet hat, die Frauen von sich selbst zu entfremden – und ich möchte ihm danken, daß er dafür das heilige Sakrament der Ehe erfunden hat, damit das Kind auch einen Namen hat. (Zu Schnitzler:) Sie, Arthur Schnitzler, sie müßten mir das doch erklären können, sie wissen doch alles über die Mysterien zwischen Mann und Frau, sie sind doch so ein großer Psychologe, größer als Sigmund Freud – erklären sie‘s mir!

ALMANIAC Alma, Sie sind sehr unhöflich!

ALMA Unhöflich? Aus was für einem Grund sollte ich denn höflich zu ihnen sein? Sind sie vielleicht höflich zu mir? Schau sie dir doch an, wie sie mich anstarren, deine feinen Herren Freunde. Ist das vielleicht höflich? Sie sagen nichts, sie starren nur. Starren mich nur an mit ihren widerlichen, stechenden Augen, aus denen mich ihr Judentum anspringt wie eine tollwütige Hündin. Sie spießen mich auf wie ein Insekt, das sie glauben gefangen zu haben, um es unter Glas zu setzen. Sie wiegen mich und messen mich wie einen Teppich auf dem Bazar, rollen mich auf und wieder zu, prüfen, wie ich geknüpft bin, setzen ihre Skalpellaugen an, wo immer sie können, stoßen zu und schneiden mich auf an allen Ecken und Enden, wo sie glauben, daß sie hineinkönnen in mich, um ihre Rüssel anzusetzen und mich auszusaugen, bis aufs Blut. Sie legen jedes Wort von mir auf die Goldwaage, um es zu wägen und natürlich für zu leicht zu befinden, für zu jung, zu lebensfroh, zu fremd!! Ich sehe keine Menschen um mich, ich sehe nur Augen, Augen, Augen!!! Ich kann es in ihren Pupillen lesen, ich kann es förmlich hören, was sie reden, wie sie sich das Maul über mich zerreissen, im Cafehaus, im Theater, auf der Toilette! A Schickse für unsren Gustav! Für unser Wunderkind?!!! Gott soll abhüten! Das kann nicht gutgehen! Das wird nix. Das is‘ a Schmockerei!! Rettet Gustav! Er ist für Höheres geboren! Er muß sich nicht wegwerfen! Er is‘ e Messias! Er is‘ e Messias!

BRUNO Alma! Warum tun Sie das?

ALMA Weil es mir Spaß macht, verstehen Sie? Weil es mir Spaß macht.

BRUNO Ja, gut. Das verstehe ich.

ALMA Wer sind diese Menschen?

BRUNO Das sind Gustavs Freunde! Seine toten Freunde! Sie müssen sich doch an sie erinnern...!

ALMA Alles prononcierte Juden, nicht wahr?!

BRUNO Ja, ja, natürlich, gleich und gleich gesellt sich gern...

ALMA Sie wissen doch ganz genau, daß ich Gustavs jüdische Freunde nicht ausstehen kann!

BRUNO Ich bitte Sie! Die sind doch schon alle tot. Ich dachte, bei toten Juden machen Sie eine Ausnahme?

ALMA Solche Witze macht man nicht nach Auschwitz.

BRUNO Nur Poesie hat Adorno verboten, Witze nicht!

ALMA Warum zeigen Sie mir das alles? Was soll ich hier?

MAHLER Ich dachte, es wird Zeit, daß ich Ihnen Gustavs Freunde vorstelle. Wir müssen ihnen doch von Ihrer Velobung erzählen!

ALMA Meine Verlobung!... Ja, natürlich! Wie konnte ich nur! (Zu Schnitzler:) Ich habe einige interessante Theorien über die Ehe, Arthur, die gerne bei Gelegenheit mit Ihnen besprechen würde. Ich vermute, Sie sind der einzige, der sie richtig einschätzen kann. (Wendet sich Anna Mildenburgs Portrait zu:) Ah! Frau von Mildenburg! Der berühmte Unterleibssopran! Entschuldigen sie, war war nochmal die Frage?... Ach, was ich von Gustavs Komponitionen halte? Das ist nicht so leicht zu sagen... Ich kenne doch noch nicht so viel. Aber was ich kenne... was ich kenne — gefällt mir nicht. Ganz und gar nicht. Ich finde es letztklassig. Haben sie sonst noch Fragen? ... Nein?! ... Schade. Dann erlauben Sie mir eine: Wie fanden sie denn meinen Gustav? Ich meine, so als Mann. Sie waren doch seine Geliebte, nicht wahr? Also müßten sie‘s doch wissen. Oder können sie sich gar nicht mehr erinnern? Ist es schon zu lange her? Vielleicht war ja auch gar nichts... Er spricht allerdings sehr gut von ihnen, er ist ganz stolz auf diese Affäre. Viel kann er dabei allerdings nicht gelernt haben, seinen diesbezüglichen Fähigkeiten nach zu schließen... — Bitte? Ich habe sie nicht verstanden?! Ach, sie haben gar nichts gesagt? Das ist aber schade! — Tja, was für ein Schweigen! ... Welch drückende Atmosphäre...!

BRUNO Kommen Sie, hören Sie auf Alma.

ALMA Warten Sie, warten Sie, lassen Sie mich noch ein bißchen! Es läuft gerade so gut. Ich gebe mir wahrlich Mühe, mich mit diesen Leuten anzufreunden.  (Sie wendet sich Justines Portrait zu, der Schwester Mahlers:) Justine, Justine, du bist die einzige aus der Familie, mit der man vernünftig reden kann! Warum gönnst du mir denn deinen Bruder nicht? Nein, nein, versuch nicht, es zu leugnen. Ich weiß es. Du warst ihm doch auch jahrelang ein Ersatz, du hast ihm den Haushalt geführt, du hast ihn bekocht, du hast sein Geld verwaltet. Jetzt bist du endlich frei! Sei doch froh! Außerdem, Justine, glaube mir: Ich hänge nicht an ihm. Ich gebe ihn frei, wann immer du ihn zurückhaben willst! Aber er wird nicht kommen! Er wird nicht kommen! Was soll ich machen? Er will nicht!

BRUNO Alma — Hören Sie doch auf!

ALMA Er will mich anders, ganz anders... und auch ich will es. Es gelingt mir auch, solang‘ ich bei ihm bin — aber wenn ich allein bin, dann kommt mein zweites, eitles, schlechtes Ich und begehrt Auslaß. Und ich willfahre — aus meinen Augen strahlt Frivolität, mein Mund lügt. Lügt in einem fort. Und er... fühlt es... weiß es... jetzt erst, in dem Moment weiß ich‘s, ich muß zu ihm hinauf! Ich lebe ja nur von ihm. — Er beschwört mich zu reden... und ich... kann kein warmes Wort finden. Keins. Das ist das Ende. (Musik: Mahler 1. Symphonie, 1. Satz) — Wenn sie also sein Freund sind, beschwöre ich sie: sagen sie ihm, was ich gesagt habe, sagen sie ihm, was sie von mir denken — was sie wirklich von mir denken — und machen sie keine Witze darüber in der Art, wie ihre Art Menschen Witze darüber zu machen gewohnt ist. Reden sie mit ihm so ernsthaft und aufrichtig, wie es ihnen nur irgend möglich ist. Sagen sie ihm, daß er seinen Fluch von Alma Schindler abziehen soll, weil sie frei ein will, frei sein muß! Hören sie, was ich sage?! Ich muß frei sein, ich darf mich nicht fesseln lassen. Sagen sie ihm das, wenn sie sein Freund sind. — Er hält von meiner Kunst gar nichts, von seiner viel — und ich halte von seiner Kunst gar nichts, und von meiner viel. So ist es! Irgendwo brennt eine Wunde in mir, die niemals ganz verheilen wird...

BRUNO Wenn ihm etwas geschieht, müssen Sie sich um seine Musik kümmern. Das müssen Sie mir versprechen!

ALMA Ich kann es nicht versprechen! — Bei Zemlinsky wär‘s gegangen, dessen Kunst empfinde ich mit, das ist ein genialer Kerl. Aber der Gustav ist ja so arm, so furchtbar arm... wenn er wüßte, wie arm er ist... er würde seine Hände vor die Augen geben und sich schämen... Und ich soll immer lügen... immer lügen!... Das Tier in mir will heraus, es schreit nach Freiheit! Ich schaue in den Spiegel und sehe meine Augen, wie sie vor Lust sprühen und funkeln. Und dann juckt‘s mich, und ich möchte etwas Böses tun. Es gibt soviel Böses, was es sich zun tun lohnte. Ach, nur ein wenig Böses! Eltern hat man, um Sie zu belügen, Männer hat man, um Sie zu betrügen, Seele hat man, um Sie zu vertieren, Gott, o Gott! Was liebst du so das Böse!? Und dann — lüge ich. Also wage ich nicht, meinen Mund zu öffnen. Und Gustav redet auf mich ein, aber ich kann ihm nicht antworten. Ich schweige. Es beschwört mich, ihm doch zu antworten — und ich kann doch kein warmes Wort für ihn finden. Nicht eins. Oft kann ich mit Gustav überhaupt nicht reden. Ich weiß nur zu gut, was er sagen wird, er braucht es gar nicht auszusprechen. Aber im Augenblick, da wir uns trennen, bin ich entzwei. Ich weiß nur das eine — welche ist die Wahre? Werde ich nicht ihn und mich unglücklich machen? Wenn ich lüge — und lüge ich? Dieses tiefe Gefühl der Seligkeit, wenn er mich beglückt ansieht. Auch Lüge? Nein — nein — Ich muß die andere verbannen, die die bis jetzt geherrscht hat — sie muß hinab — Ich muß alles tun, um Mensch zu werden — alles mit mir geschehen lassen.

BRUNO Ich muß gehen. Ich habe Probe in der Oper. Leben sie wohl! Seien sie tapfer. Er braucht sie! (Er geht.)

ALMA 1 wird noch während der Szene von Mahler per Gegensprechanlage in die Küche zu „Declaration of Love“ gerufen.