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Das Polydrama
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13d AN AMERICAN NON-HAPPY-END
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Kalifornien, 26. August 1945. FRANZ WERFEL sitzt in seinem Arbeitszimmer in Santa Barbara. U.S. ALMA kommt ihn besuchen.

U.S. ALMA    Wie geht es dir heute?

WERFEL    Schlecht, vielen Dank. Aber immer noch besser als morgen.

U.S. ALMA    Soll ich Doktor Spinak rufen?

WERFEL    Nein. Gib mir lieber deine Brust und lass mich an den Zitzen saugen.

U.S. ALMA    Ich hasse diese Witze.

WERFEL    Ich hasse sie auch. Ich glaube, es ist der ewige Jude in mir, der Rache am ephemeren Christen nimmt, der ich niemals gewesen bin.

U.S. ALMA    Dem Manne kann geholfen werden, Franz. Soll ich Pater Moenius telefonieren?

WERFEL    Nur über meine Leiche!

U.S. ALMA    Wie du willst. — Bist du mit dem Epilog vorangekommen?

WERFEL    Nein. Ich kann nicht mehr schreiben...

U.S. ALMA    Du mußt. Es ist das einzige, das dich noch retten kann.

WERFEL    Es hat keinen Sinn. Es wird ohnehin keiner lesen.

U.S. ALMA    Wo ist der Brief, den du von Urzidil bekommen hast?

WERFEL    Ach, laß mich in Ruhe.

U.S. ALMA    Du hast gesagt, daß er deine Prolegumena sehr gut fand.

WERFEL    Es sind die «Theologumena», nicht die «Prolegumena»!

U.S. ALMA    Möchtest du mir‘s vorlesen?

WERFEL    Nein, das möchte ich nicht. Es ist stinklangweilig.

U.S. ALMA    Ich meinte Urzidils Brief.

WERFEL    Ich meinte auch Urzidils Brief, mein Gott! Dachtest du, ich lese dir die Theologumena vor? Die sind noch viel langweiliger.

U.S. ALMA    Was ist los mit dir, Franzl? Warum bist du so bitter? Es ist sehr unangenehm.

WERFEL    Alles was du tun mußt, ist, mir aus dem Weg zu gehen, meine Liebe, dann ersparst du dir diese kleine Nachmittagsunterhaltung.

U.S. ALMA    Was ist los? Irgendetwas Schreckliches ist im Gange, Franz, ich weiß nicht was. Es liegt etwas in der Luft. Ich bin sehr beunruhigt.

WERFEL    Was du nicht sagst. Du bist beunruhigt, ja? Na, dann werde ich es dir sagen: Ich habe mich entschlossen, kein Säugling mehr zu sein. Ich habe das Nuckeln satt. Ich bin nicht mehr der jämmerliche Titten–fixierte Halbwüchsige, als den du mich aufgegriffen hast und den du jahrelang in dieser Eigenschaft gehegt und gepflegt hast. Ich wachse. Ich bin schon in der Pubertät, weißt du? Vielleicht ist es ja jetzt zu spät, aber besser zu spät als gar nicht. Dein Baby ist flügge geworden, das ist es, was dich beunruhigt. Du verlierst die Kraft über mich.

U.S. ALMA    Es ist ein sehr peinigendes Schauspiel, Franzl, dich in deinem Selbstzerstörungsdrang zu beobachten, dem du dich so willenlos und ohne die geringste Gegenwehr hingibst. Was geschieht denn mit dir, Franz? Als ich dich aufgriff, damals, hattest du im kleinen Finger mehr Talent als Mann, Musil, Kraus und Zweig zusammengenommen. Du warst besser als Roth, als Horvath, als Kafka! Ich hätte meine gesamte Habe verwettet, daß du eines Tages das Meisterwerk schaffen würdest, das als Spiegel unseres Jahrhunderts in die Literaturgeschichte eingehen würde. Was ist schief gelaufen, Franzl? Was haben wir falsch gemacht?

WERFEL    Mein Kopf ist voller Scheiße!! Voller Scheiße!!! Wie konnte ich denn schreiben, daß der Ermordete schuldig sei und nicht der Mörder?! Hmmm?! Und daß es der herausragendste Fehler der Juden ist, durch ihre Art von Leben, von Sein, in den Christen den Antisemitismus hervorzubringen? Wie konnte ich das schreiben?

U.S. ALMA    Es war ein kühner Gedanke!

WERFEL    Es war kein kühner Gedanke, es war hirnverbrannter Unsinn, meine Liebe! Und du hast mich noch ermuntert, ihn zu schreiben!

U.S. ALMA    Du hast den Biss verloren.

WERFEL    Schwachsinn! Der Gedanke war verkehrt und verdreht vom ersten Augenblick an. Schon damals. Aber jetzt, nach allem, was in Europa passiert ist, ist es stinkender Hundekot. Man müßte mich füttern damit!

U.S. ALMA    Seit wann bist du denn auf einmal so selbstkritisch?

WERFEL    Ich seh‘ doch, was ich zustande bringe! Ich bin doch nicht blöd! Mein «großes Meisterwerk», mein «Jahrhundertbuch» — das ist doch nur eine peinliche Ansammlung von Plattitüden, von Tratsch und Klatsch, von Science–Fiction–Schrott, verpackt in die Ästhetik einer soap opera!

U.S. ALMA    Das ist der Geist unserer Zeit.

WERFEL    Der Geist unserer Zeit! — Was weißt denn du vom Geist unserer Zeit, hm?!! Was weiß ich davon? Nichts! Gar nichts!! Verstehst du? Nicht so viel! Wir leben hier in Santa Barbara, im unwirklichsten, künstlichsten Reservat, das jemals von Menschenhand geschaffen wurde. «Ah! Mrs. Werfel! Hello! How are you? Nice to meet you! What a wonderful house!» Diesen Ort gibt es gar nicht!

U.S. ALMA    Franzl, es ist der schönste Ort auf Gottes Erdboden!

WERFEL    Ja! Er passt zu dir und deinem leeren Herzen! Der einzige Kontakt zur Außenwelt an diesem Un–Ort sind meine täglichen Kinobesuche. So sieht meine Realität aus! Ich zerstöre die kläglichen Überreste, die mir von meiner Seele noch geblieben sind, die Miasmen meines Gehirns, mit diesem debilen Auswurf dieser verkommensten «Traum»–Fabrik, die jemals existiert hat!

U.S. ALMA    Niemand zwingt dich, hinzugehen.

WERFEL    Ach wirklich? Vielen Dank! Sehr gütig. Dann erlaube mir die Frage, welche kulturellen Alternativen dieses gottverfluchte Land sonst noch bietet?!

U.S. ALMA    Man kann immer ein gutes Buch zur Hand nehmen oder Musik hören.

WERFEL    Das kann ich eben nicht! Das kann ich nicht!! Ich brauche Zerstreuung! Zerstreuung!! Ich schinde mich acht Stunden täglich ab, irgendetwas Vernünftiges zu Papier zu bringen, aber es gelingt mir nicht! Meiner Arbeit fehlt die Freude, die Inspiration, das reine Gewissen. So arbeite ich an meinem «Meisterwerk»! Es ist reine Onanie! Du weißt schon, die alte Leidenschaft, von der du mich geheilt hast! Der große «Zukunftsroman»! Wähhh!! Alles wimmelt nur so von Anmaßung, Vortäuschung, Prätention. Ein einziger, riesiger, gewaltiger Furz!!! Ich kotze mich an, wenn ich nur daran denke!! Ich tue das einzig - Falsche. — Ja, ich habe mich geirrt. Ich gebe es zu. Ich habe mich geirrt. Es gab einmal einem Moment, wo ich mich hätte richtig entscheiden können. Wo ich vor der Wahl stand, am Kreuzweg. Das war wohl der bedeutendste Moment meines Lebens. Und — was habe ich getan?!

U.S. ALMA    Wann war das?

WERFEL    Als wir in Palästina waren, mein Schatz, vor zwanzig Jahren. Ich hätte dort bleiben sollen. Ich hätte mir eine Verbindung schaffen können zu den Orten, an denen Geschichte gemacht wird, an denen sie stattfindet! Das bedeutendste Ereignis in der Geschichte meines Volkes! Und in diesem — und vielleicht dem nächsten Jahrhundert — die dramatischste Begegnung, die jemals zwischen einem neuen, souveränen Judentum und der Christenheit und dem Islam stattgefunden hat... verbunden mit der ungeheuren Chance, zwischen einer historischen Versöhnung und der völligen Vernichtung der Menschheit zu wählen. Wahrscheinlich die größte Chance, die sich der Menschheit jemals geboten hat. Ich hätte teilnehmen können! Ich war da! Ich hätte die Chance gehabt! Ich bin da gewesen und habe es nicht erkannt! Fühlen hätte ich es müssen, erfahren und — schreiben! Und was habe ich gemacht?! Stattdessen? Ich habe mich weggerissen vom Herz des Weltendramas, um mein Leben hier, in diesem falschen Talmi–Paradies zu beenden, wo mir nichts übrig bleibt, als eine Karikatur von Leben zu fristen, eine Travestie, ein Zerrbild, und mich mit Imitationen und künstlichen Gefühlen und Gedanken zu betäuben. Und wer hat mich dahin gebracht? Du. Du warst es. Du bist schuld daran!

U.S. ALMA    Franz... Gibt es eine andere Frau in deinem Leben?

WERFEL    Was?!!

U.S. ALMA    Seit geraumer Zeit schon spüre ich, daß ich dich verliere, du entgleitest mir. Du siehst mich nicht mehr an, so wie ich es von dir gewohnt bin. Du meidest mich. Ich weiß nicht, was ich denken soll.

WERFEL    Wovon sprichst du denn?

U.S. ALMA    Mein Gott! Wie konnte ich denn so blind sein! Aber jetzt ist mir natürlich alles klar. Es ist eine andere Frau in dein Leben getreten. Ich weiß es jetzt.

WERFEL    O mein Gott, bist du blöd.

U.S. ALMA    Franz! Sage mir die Wahrheit. Wer ist es?

WERFEL    Das ist alles, was du dir vorzustellen imstande bist? "Eine andere Frau»?!" Ist das dein Ernst? - Du bist unverbesserlich. Deine Existenz ist eine einzige verlogene, verblödete Wiener Operette! Und ich Schaf war dämlich genug, eine Rolle darin zu spielen. Ich glaube, ich träume! Ich liege im Sterben und alles, woran du denken kannst, ist «eine andere Frau» in meinem Leben! Mein Gott! Mein Gott!! Mein Gott!!!

U.S. ALMA    Beruhige dich wieder, ja? Beruhige dich. Es ist nur ein kurzer Anfall schlechter Laune, weiter nichts. Das ist nicht von Dauer, glaube mir. Das überstehst du. Du bist jung. Du bist erst fünfundfünfzig. Das ist die goldene Dekade für einen Dichter! Du stehst am Gipfel deiner Karriere! «Jakobowsky und der Oberst» war ein Riesenhit in Hollywood, vergiss das nicht! Dir bleiben mindestens noch zwanzig Jahre, um zu schreiben! Du wirst die Krise überwinden, du wirst erstehen wie ein Phönix aus der Asche... deine großen Werke liegen noch vor dir... Romane, Stücke... du wirst sie schreiben! Du musst!! Du wirst den Nobelpreis bekommen! Ich weiß es! Du wirst größer sein, berühmter und wichtiger als Thomas Mann! Du wirst! Du musst! Du musst!

WERFEL    Du bist die größte Katastrophe meines Lebens. Es hat mich Jahre gekosten, das zu erkennen. Ich war nur dein Sklave. Jahrelang dein Sklave. Aber jetzt ist Schluss damit. (er erhebt sich:) Jetzt ist Schluss! Ich bin frei. Endlich bin ich frei von dir! Nichts kann mich mehr halten... Nichts kann mich mehr... Ich bin frei!... Ich bin Ich... Ich bin...

WERFEL bricht zusammen. Er ist tot.

U.S. ALMA    Moenius! Pater Moenius!

MOENIUS    Haben Sie mich gerufen, mein Kind?

U.S. ALMA    Schaun sie, Pater. Er ist von uns gegangen.

MOENIUS    Mein armes Kind. (er nimmt sie in den Arm) Wie schlimm muss das für Sie sein!

U.S. ALMA    Ach! Ich bin das Witwendasein schon gewohnt.

MOENIUS    Erlauben Sie, daß ich ihnen meine aufrichtigsten Beileidswünsche...

U.S. ALMA    Als allererstes müssen wir eine Nottaufe organisieren. Als Juden können wir ihn nicht begraben.

MOENIUS    Mit dem größten Vergnügen. Hat er Sie noch darum gebeten?

U.S. ALMA    Man könnte sagen, ja. Auf seine ganz persönliche Weise. Auf jeden Fall ist mir der Gedanke unerträglich, daß mein Franzl als Jude vor seinen Herrgott treten soll.

MOENIUS    Warum sollte er? Wir müssen es ihm nicht unnötig schwer machen. Nicht leichter als das.

MOENIUS besprenkelt Werfel mit Wasser und murmelt lateinischen Segensworte.

MOENIUS    Nun, meine Schwester im Leid, dafür wäre Sorge getragen. Hast du sonst noch einen Wunsch, mein Kind? Kann ich Ihnen noch irgendwie behilflich sein, gnädige Frau?

U.S. ALMA      Helfen Sie mir alles für die Zeremonie vorzubereiten.