![]() |
04e | Sometimes I feel like a motherless Child St. Germain, 1. Juli 1938. FRANZ WERFEL hat einen leichten Herzanfall. FRANZ Ich bin unendlich deprimiert. Ja. Denkimpotenz. Angst. Schwächegefühl. Ohnmächtiges Gefühl der Schwäche... allen Assoziationen gegenüber — und der Beherrschung ihres Ablaufs. Mein Gott, was soll werden!! Ich verliere meine Kraft, zu denken. Ich werde... ich bin... Das Meer der Unordnung überspült mich. Un–ord–nung. Unordnungskomplex. Dem Blinden ist die Welt erblindet
Das ist schlecht. Schlechte Poesie. Nikotindichtung. Wasseraugen. Große Worte, aphoristischer Überfluß. Unpräzise. Ungenau. Verwaschen. Versunken. Anna, du hast recht. Untergegangen! Gucki! «Die Welt von Gestern» Die versunkene Welt. — Jaaaazzz!! (Er versucht sich im Jazztanz. Singt:) «Sometimes I feel like a motherless child...!» Blutdruck beinahe 25,50. Tension much but much to high. Rauchen ganz abgewöhnen. No precision in describing minute feelings... Ugh!... Ostasiatisches Kloster. Mönche heißen uns am Eingang die Stiefel ausziehen. Wir empfangen von ihnen dafür höchst bequeme und den Füßen wohltätige Bastschuhe. Wir treten in den Klostergarten. Große Wildnis. Ein kleiner Pfad durch hohes Gras, Schlinggewächs und dichter Wuchs. Über den Weg kriechen, schießen oder liegen viele große Schlangen. — Die Mönche lassen sich ruhig und gleichmütig von ihnen beißen. Ich auch, jedoch voll Furcht und nur aus Höflichkeit, um dem Beispiel der Mönche zu folgen. Ich trete keiner Schlange auf den Kopf, obzwar es mich gelüstet. (Er zerknüllt Papier und wirft es fort.) Und jetzt? Wieder eine neue Teufelei! Prag von den Boches besetzt! Meine Schwester Hanna in der Falle. Zu spät abgereist. Österreich ist meine Heimat nicht. Ich bin ein Fremder hier. Wo kann ich hin? Ich bin ein Fremder. Wo mag mein Zuhause sein? Nach Prag kann ich nicht zurück. Mein Platz ist nicht von dieser Welt. Ha! Auch schon gesagt. Gut gesagt! London... Anna? Gucki?! Das ist das Exil, meine Liebe, meine Retterin, der ich die Freiheit schenkte – «the bitter taste of exile». Warten wir ab, bis die Realität uns einholt. Und wir ihr gegenübertreten müssen. Dann wird Zeit genug sein. Dann muß Zeit sein. Dann wird Zeit sein. Viel Zeit.— Was tun? — Selbstmord. Selbstmord? Ich durfte nichtmal auf Horvaths Begräbnis. Sie hat es verboten. Dabei sah Ödön so gesund aus unter all den gelben und graugrünen Gesichtern der Emigranten, die sich in seiner Totenhalle versammelt hatten. Eigentlich sah er am gesündesten aus von uns allen. Außerdem habe ich Angt, es zu tun. Ach Gott, ich bin das nicht, der aus dem Spiegel stiert, der Mensch mit wildbewachsner Brust und unrasiert. Tag war heut so blau, mit der Kinderfrau wurde ja im Stadtpark promeniert. Die Vorstellung, den Revolver gegen mich abzudrücken — gegen mich! — ist unerträglich. Unerträglich! Viel eher... würde ich mich bereitfinden... Gift zu nehmen.. Ja, Gift. Dieses ist aber nicht vorhanden. Stattdessen... bin ich verhaftet. Der Kommissär blättert minutenlanmg in einer schwarzen Liste. Ich war doch am Titelblatt von «Paris Match»! Ich glaube, daß ich diese Minuten nicht überleben werde, auch wenn sie schon gewesen sind... Es ist zu schrecklich. «Un de plus grands écrivains contemporains»! Ich könnte ohnmächtig werden. Aber ohne daß ich etwas verbrochen habe? Die Sanktionen des Fremdengesetzes sind gar nicht anwendbar auf mich! Es ist eine irrtümliche Vorladung! Franz! Franz!! Mein Freund. Warum hast du mich vorladen lassen in einen deiner Romane? Als Käfer «K». Für mich bist du Nobelpreisträger, und nicht Thomas. Ein großer Strauß roter Rosen und den «Verdi». Den hast du noch gelesen. Es war das letzte, was du noch gelesen hat. Der Traum allein kann einen Menschen nicht ernähren, wenn er vierzig Jahre alt ist. Solange kann kein Hungerkünstler hungern. Wo werde ich heute schlafen und zu Hause sein? Ich sehe meiner Hinrichtung entgegen. Ich ziehe zu diesem Zweck ein höchst merkwürdiges, schwarzseidenes Bajazzo–Kostüm an. Es ist selbstverständlich, daß der Raum nicht leer ist, daß ich nicht allein bin, daß ein Kollege ihn mit mir teilt, am besten Egon Erwin Kisch, der ebenfalls zum Schafott muß — Karl Kraus wird ja erschossen — und in meinem Gefühl muß er das vielmehr noch als ich selbst! (Führt die Hände zum Kopf.) Es gibt also doch eine Geisterwelt! «Manchmal, Herr, manchmal.» gibt das Gespenst zur Antwort und rasiert mich, ein ehemaliger Arbeiter, von dem ich weiß, daß er vom Dach gestürzt ist. Schlimmes Gefühl der Schädigung durch die Toten. Nähe, selbst durch die Nähe. Dann Licht. Verwandlung. Geruch. Vorüberzüge. Ernst Deutsch! Warum?! Schlaf. Ekstase. Vergebliche Levitation. Rauchsucht? Wo bleibt die Antwort aus Berlin? Keine Antwort ist auch eine Antwort. Zumindest keine Absage. Wenn sie mich aufnehmen... Hitler tritt ein, so hinfällig und alt, wie er ist. Seine Hose ist offen, das Glied zu sehen. Es ist erschreckend, es zu sehen. Er fragt mich: «Hast du gesehen?» Ehe ich noch antworten kann, wächst er, wird jung und stark, stürzt sich auf mich und schlägt mich zur Strafe. — Ich bin ein erwachsener Mensch! Ich wäre nicht zurückgekehrt, wenn das Volk draußen mich nicht an meinem Gesicht erkannt hätte!!! — Ich bin ein erwachsener Mensch! Ich hab' so ein Verlangen
Kunstgenuß ist nicht Zeitvertreib, sondern das Gegenteil... Sie ist Tod–Vertreib. Während all dessen hört man die Zeugnisse der NS–Bücherverbrennung vom Februar und März 1933. Unter den Namen befindet sich auch der von FRANZ WERFEL. |