|                                                      Kokoschka: Endlich, nachdem ich sie hundertmal gezeichnet                           und gemalt hatte, habe ich mich entschlossen, sie zu                           vernichten. Die Puppe hatte mir die Leidenschaft gänzlich                           ausgetrieben. Ich machte also ein großes Champagner-Fest                           mit Kammermusik, während dessen mein Kammermädchen                           Hulda die Puppe mit all ihren schönen Kleidern                           zum letzten Mal vor- führte. Als der Morgen graute                           - ich war wie alle anderen sehr betrunken - habe ich                           im Garten der Puppe den Kopf abgehackt und eine Flasche                           Rotwein darüber zerschlagen. Am nächsten Tag                           schauten ein paar Polizisten zufällig durch das                           Gartentor, erblickten wie sie meinten den blut überströmten                           Körper einer nackten Frau, und stürzten in                           der Verdächtigung eines Liebesmordes ins Haus hinein.                           Genau genommen war es das auch, denn an jenem Abend                           hab ich die Alma ermordet...                                                                                                                                                                                    |                                                                                                     |   |                                                                                                     Oben: Die Puppe                                      Rechts: Oskar Kokoschka: Mädchen mit                                     Puppe (1921/22) |                                                                                              |                               |                               |                                                                             Reserl                           Dienstmädchen                         Die Magd Hulda diente im Hause Oskar Kokoschkas in                           Dresden, als dieser sich 1919 bei einer Münchner                           Puppenmacherin eine lebensgroße Puppe von Alma                           anfertigen ließ, um über den Verlust seiner                           Geliebten hinwegzukommen. Als Kammerzofe Reserl wurde                           Hulda sodann von Kokoschka unterwiesen, der Puppe zu                           Diensten zu sein, für die er einen großen                           Aufwand zu treiben gedachte. Tägliche Ausfahrten                           mit dem Wagen, Opernbesuche und Bankette sollten zu                           Ehren der AlmaPuppe veranstaltet werden. Reserl                           selbst war ihrem Dienstherrn, den sie «Rittmeister»                           nannte, in großer Liebe zugetan und brachte ihm                           alle nur erdenkliche Hingabe entgegen. Sie ritzte sich                           sogar seine Initialen mit einem Messer in die Brust.                           Als Kokoschka Reserls Zuwendung nicht anzunehmen verstand,                           verschwand sie in den zwanziger Jahren aus Dresden und                         niemand weiß, was aus ihr geworden ist.                                                                                  |                                |                             Oskar Kokoschka:                                Mädchen mit Puppe (1923)                                                           "Für mein braves Reserl, das sein Bestes                                in dem Dienst für meine ungemein schlechtkarakterige Person hergeben hat. Und das immer wieder nach Wien kommen kann, wenn sie will.                                                             Ihr Rittmeister OK 13. 8. 23"  |                                                                             "Bei Dr. Posse war aber auch ein hübsches, junges sächsisches Ding namens   Hulda beschäftigt. Sie besaß Phantasie, deshalb war sie mir aufgefallen.   Manchmal, wenn ich Besuch hatte, überließ man sie mir für einige Stunden.   Ich kannte viele junge Frauen und Mädchen, meist Russinnen und Polinnen, die   nach dem Krieg nicht in ihre Heimat zurückkehren konnten, Hulda wurde bei   mir Reserl genannt, eine in Österreich übliche Abkürzung des Namens der   heiligen Therese-, sie spielte bei mir die Rolle einer Kammerzofe, wofür ich   ihr ein Häubchen und eine Batistschürze nebst schwarzen Seidenstrümpfen aus                         dem Warenlager eines Landsturmmannes verschaffte, der sich in Paris einige                         Jahre umgesehen hatte. Sie zog sich nur um, wenn sie Dienst bei mir hatte.                         Da ich Männer nicht ausstehen konnte - ich dachte, ihre Hände wären mit Blut                         befleckt -, wies sie viele Besucher an der Tür mit den Worten ab-. "Der Herr                         Rittmeister liegt im Bett und denkt," Das Mädchen hatte Mutterwitz und                         konnte köstlich im Scherz erschrecken, wenn sie von der Haushälterin im                         anderen Flügel des Hauses gerufen wurde; und Reserl verwandelte sich schnell                         zurück in die gewöhnliche Hausmagd Hulda.“ (Oskar Kokoschka, 1971)                                                                                 |                               |                                                                                  |   |                               |                                                                                  |   |                             Mädchen mit grünem Schurz (Reserl, 1921) |                                                                                  |   |                               |                                                                             Ich zeichnete allein während vieler Stunden in der Nacht, und nachher hatte                         ich den Wunsch, zu baden, stieg die dunklen Stufen in den Keller hinunter,                         wo – gemeinsam für den Haushalt – ein hohes Wasserfass für diesen Zweck                         bereitstand; die gußeisernen Badewannen waren vor Jahren von den                         Militärbehörden requiriert worden. Durch das Kellerfenster fiel Mondlicht                         ein, und da tauchte zu meiner Überraschung, wie Undine im Märchen, Reserl                         auf dem Wasser auf. Mit herausfordernder Nachlässigkeit sagte sie, sie                         wollte mir bloß helfen, die Gedanken an den Toten zu vergessen. Ihre Aufgabe                         wäre doch, Kammerzofe meiner Puppe zu sein, die zu meiner Lebensgefährtin                         bestimmt sei. Ihr gesunder Menschenverstand jedoch sage ihr, dass mir dann                         die Wärme im Bett fehlen würde. Da wurde ihr munteres Geplauder                         unterbrochen; die Haushälterin rief: "Hulda!" Hulda trocknete sich eiligst                         ab und zog ihre Kleider an.                                                (Oskar Kokoschka, "Mein Leben")  |